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"Kein Mehraufwand - achtsamer Umgang"

Sie haben auf Ihrer Webseite extra einen Infobereich für sehbeeinträchtigte Menschen eingerichtet. Wie kam es dazu?

Katharina Pfau: Unsere Webseite ist durch das umfangreiche Angebot sehr vielschichtig, so dass es für Screenreader-Nutzer sehr mühsam wäre, die inklusiv gestalteten Webinare ausfindig zu machen. Schon zum Projektstart hat sich so viel angehäuft, dass die Schulleitung vorgeschlagen hat, diesen extra Bereich einzurichten. Er vereinfacht die Navigation, indem er direkt auf alle wichtigen Seiten unserer Webseite und auf die Kursseiten verlinkt.

Natürlich ist es auch wichtig, unseren Interessenten ausreichend Informationen zu unserem Inklusionsprojekt zur Verfügung zu stellen, um Übersicht, Transparenz und Qualität zu garantieren.

Frau Starke, Frau Schmitz-Harwardt, wie hoch ist der Mehraufwand für Sie als Dozentinnen bei der barrierefreien Gestaltung Ihrer Angebote?

Sonja Schmitz-Harwardt: Zeitlich vielleicht je PowerPoint eine Stunde. Ich musste meine PowerPoint-Präsentationen in screenreader-optimierte SR-Dateien umwandeln, das war ein zeitlicher Mehraufwand, der mich aber um eine Erfahrung reicher gemacht hat.

Daniela Starke: Der Mehraufwand liegt für mich je Termin ungefähr bei 30 bis 60 Minuten. Je nachdem, wie viele Dateien ich habe. Die Durchführung der Webinare bedeutet keinen Mehraufwand, sondern eher einen achtsamen Umgang.

Was genau müssen Sie berücksichtigen, wenn Sie ein Webinar barrierefrei gestalten?

Starke: Wenn ich Übungen vorführe, dann achte ich darauf zu erklären, was ich genau mache. Manchmal habe ich sehr visuelle Übungen, hier gebe ich dann Alternativen. In meinen Kursen wird häufig mit allen Sinnen gearbeitet. Das versuche ich auch in meinen Erklärungen umzusetzen.

Pfau: Die Aufgaben sind hier sehr verschieden. Während die Dozenten die barrierefreien Dokumente - unsere SR-Dateien - erstellen müssen, habe ich zuerst das gesamte Konzept mit iBoB entworfen.

Vieles musste umgemünzt und neu verhandelt werden. Einige Punkte wie Mobilität vor Ort fielen weg, dafür hatten wir die Aufgabe, eine barrierefreie  Webinar-Software zu finden. Erst als die technischen Hürden größtenteils überwunden und das Konzept erstellt war, wurden die Dozenten beispielsweise in die Erstellung barrierefreier Dokumente eingewiesen. Einige Dozenten haben uns bei den inklusiven Testläufen unterstützt, wofür ich mich an dieser Stelle herzlich bedanken möchte.

Schmitz-Harwardt: Ich wurde von Katharina Pfau sehr gut eingearbeitet, so dass ich alles gut umsetzen konnte.

Hatten Sie im Vorfeld beim Thema Barrierefreiheit Vorbehalte oder Bedenken?

Schmitz-Harwardt: Nein, ich hatte keine Bedenken, nur freudige Erwartung.

Starke: Ich war mir nicht sicher, ob ich alles umsetzen kann. Manche Meditationen oder Entspannungsübungen müssen umgeschrieben oder verändert werden.

Hat sich etwas davon bestätigt?

Starke: Manches war leichter, anderes etwas schwieriger umzusetzen. Aber ich biete immer auch Alternativen an, wenn es in einer Meditation oder Übung sehr visuell wird. Solche Alternativen sind sowieso wichtig in meinem Bereich. Jeder entspannt anders.

Wie sehen diese Alternativen aus?

Starke: Es gibt in der Entspannung Übungen, die das Sehen innerer Bilder verbessern. So gibt es beispielsweise eine Übung, in der eine brennende Kerze betrachtet wird und danach werden die Augen geschlossen und die brennende Kerze sollte dann vor dem inneren Auge ebenso sichtbar sein. Ein blinder Teilnehmer kann nun stattdessen den Hör- oder Tastsinn verstärken. Also wird zum Beispiel eine Klangschale angeklungen und nachdem sie wieder still ist, soll der Ton innerlich wahrgenommen werden. Oder etwas wird berührt und nachdem man es zur Seite legt, soll es innerlich gespürt werden. Das sind auch Übungen für Sehende.

Wenn ich also bei Übungen gerade den Sehsinn anspreche, dann gebe ich auch die Möglichkeit, einen anderen Sinn zu verstärken, bzw. über einen anderen Sinn eine Wahrnehmung zu verbessern.

Wie hoch ist der Mehraufwand bei barrierefreien Prüfungen und Hausarbeiten?

Pfau: Der Mehraufwand ist sehr gering. Da unsere Prüfungen alle als Multiple-Choice-Prüfungen abgehalten werden - also mit Ja oder Nein zu beantworten sind oder durch Wählen eines der Punkte A bis D -, ist das System einheitlich. Auf Wunsch gilt selbstverständlich der rechtliche Nachteilsausgleich einer Prüfungszeitverlängerung. Grundsätzlich kann ich jedoch berichten, dass ich diesen auch nicht brauchte, als ich einen Kurs - damals noch nicht inklusiv gestaltet - belegt hatte. Wenn man inhaltlich gut vorbereitet ist, kann man es locker in der vorgesehenen Zeit schaffen.

Und bei Hausarbeiten?

Pfau: Die Hausarbeiten sind im Grunde für alle gleich. Sie werden getippt und per Mail an die jeweilige Dozentin oder den Dozenten geschickt.

Erfahren Sie Wertschätzung von Seiten Betroffener?

Pfau: Verständlicherweise haben wir hier die Möglichkeit geboten, dass sich die blinden Menschen einmal im Leben nicht outen müssen, weil der Onlinekurs rundum inklusiv funktioniert. Trotzdem sind wir für Feedback - auch anonym - äußerst dankbar, damit wir unser Projekt optimieren und weiterentwickeln können. Dazu gibt es die Möglichkeit bei unseren Evaluationsbögen, die im E-Learning-Account nach jedem Webinar ausgefüllt werden können.

Haben Sie Rückmeldungen bekommen?

Pfau: Ja, einige Rückmeldungen habe ich erhalten, allesamt positiv und sehr interessiert. Eine Teilnehmerin schrieb zum Beispiel, dass sie so gut klar kommt, dass sie direkt einen anderen Onlinekurs gebucht hat, der sogar von ihrem Arbeitgeber finanziert wurde. Da wir AZAV-zertifiziert sind, kann eine Aus- oder Weiterbildung mit Bildungsgutschein oder durch eine berufliche Fachfortbildung übernommen werden.

Bekommen Sie von sehbeeinträchtigten Teilnehmern Tipps in Sachen Barrierefreiheit?

Schmitz-Harwardt: Wenn ich Fragen habe, kann ich mich jederzeit an unsere Projektleitung wenden.

Starke: Bis jetzt noch nicht. Das würde meine Arbeit aber noch unterstützen und erweitern.

Profitieren auch sehende Teilnehmer von barrierefreien Kursen?

Pfau: Ja, definitiv. Unsere barrierefreien Dokumente sind weit übersichtlicher als die Folien und auch besser zum Ausdrucken geeignet, weil sie als Fließtext angeboten werden. Mehrfach haben mir Dozenten die Rückmeldung gegeben, dass Seminarteilnehmer sogar danach gefragt haben, wenn eine SR-Datei einmal erst am nächsten Tag verfügbar war oder eine inhaltliche Aufgabe von einer Grafik in eine Tabelle umgewandelt wurde.

Zudem haben sehende Teilnehmer geäußert, dass die Dozenten noch besser erklären und einiges anders formulieren würden. Ich kann das bestätigen. Unsere Dozenten haben sich einen ganzen Haufen Gedanken gemacht zum Thema inklusives Weiterbilden und haben sich dadurch persönlich und fachlich neu auseinandergesetzt und weiterentwickelt.

Starke: Auch die sehenden Teilnehmer mögen die neuen Dateien. Im Kurs bekommen sie so ein paar mehr Alternativen.

Inwieweit war iBoB eine Hilfe für Sie?

Starke: iBoB war eine gute Hilfe für mich, über unsere Projektleiterin Katharina Pfau. Von ihr lernte ich, die Seminardateien richtig zu gestalten.

Schmitz-Harwardt: Ich bekam eine gute Erklärung bezüglich der Bildbeschreibungen, die ich umsetzen konnte.

Pfau: Da wir Wert auf Qualität und Nachhaltigkeit legen, wäre es uns in dieser Form ohne iBoB nicht möglich gewesen, ein Projekt dieses Umfangs umzusetzen. Die Zusammenarbeit mit iBoB hat mir wieder einmal gezeigt, dass Inklusion weit über Richtlinien und unverzichtbare Standards hinausgeht.

Vielen Dank für das Gespräch!

Interview: Savo Ivanic